Quo vadis Rotwild im „Gieseler Forst?“

Als langjähriger Vorsitzender und zeitweise Sachkundiger der Rotwildhegegemeinschaft GIESELER FORST nehme ich gerne und dankbar die Gelegenheit wahr, in den Vereinsnachrichten der Jäger- und Gebrauchshundevereinigung RHÖN-VOGELSBERG den derzeitigen Zustand und die Zukunftsaussichten der Rotwildpopulation im Rotwildgebiet GIESELER FORST zu erörtern.

Dass dieses Rotwildgebiet als Lebensraum für das Rotwild gut geeignet ist, möchte ich vorausschicken. Das geht übereinstimmend aus den Untersuchungen:

  • A Gutachten von Dr. Helmut Wölfel und Chr. Schützel 1996
  • B den Angaben hierzu in „ROTWILD IM GIESELER FORST“ von Heribert Kempf 2006,
  • C aus den Ausführungen im „Gebiets-Lebensraumgutachten und Umsetzungskonzept Rotwildgebiet GIESELER FORST“ aus 2017 hervor.

In dem vergangenen Jahrzehnt haben sich in Bejagungsmethode und -umfang einige wichtige Fakten gravierend verändert, die bei einer zeitnahen Analyse zu berücksichtigen sind. Gar nicht haben sich dem gegenüber die Lebensbedürfnisse des Rotwildes verändert. Das zu erkennen und zu berücksichtigen, vor allem in Einklang mit einer zukünftigen Bewirtschaftung unseres Rotwildes zu bringen, ist das Ziel dieser meiner Ausführungen. Um welche Veränderungen handelt es sich hierbei im Einzelnen?

  1. Die Abschusserhöhung.

 In den 8 Jagdjahren 2000/01 bis 2007/08 wurden durchschnittlich jährlich etwa 100 Stück Rotwild im Rotwildgebiet GIESELER FORST erlegt. Ab dem Jahre 2008 wurde alljährlich eine Schälschadenerhebung durchgeführt, deren Ergebnisse bei der nachfolgend jährlichen Abschussfestsetzung Berücksichtigung fanden. Hierbei werden bei der Buche Schälschäden von 0,5% und bei der Fichte von 1,0% toleriert. In den darauf folgenden 6 Jagdjahren 2008/09 bis 2013/14 erhöhte sich dem zufolge das jährlich durchschnittliche Abschussergebnis unter Inanspruchnahme der Möglichkeit einer 30-prozentigen Abschussüberschreitung  insbesondere von HESSEN-FORST praktiziert – auf etwa 147 Stück. Die Schälschäden schwankten in diesen 6 Jagdjahren unregelmäßig – im Jahre 2010 zwischen 0.0% bei der Buche und 0,6% bei der Fichte – bis zu 1,2% bei der Buche und 5,0% bei der Fichte in 2014. Diese Abschusserhöhung auf 147 Stücke jährlich war zwangsläufig mit einer intensiveren Bejagung des Rotwildes und einem deutlich erhöhten Jagddruck verbunden. In den Jagdjahren danach von 2014/15 bis einschließlich 2018/19 wurden durchschnittlich jährlich sogar 264 Stück Rotwild erlegt, was den Jagddruck in diesem Zeitraum noch einmal drastisch verschärfte. Trotz dieser sehr hohen Abschusszahlen schwankten die Schäden bei der Fichte in diesem Zeitraum permanent in einem sehr hohen Bereich zwischen 3,5% bis 4,9%. Diese Zahlen beweisen, dass ein hoher Jagddruck hohe Schälschäden zur Folge hat. Allerdings sank dem zufolge die Bestandesdichte von etwa 2,5 Stücken Rotwild auf 100 ha Holzbodenfläche so auf etwa 1 Stück pro 100 Hektar. Für diese hohen Abschusszahlen und dem damit verbundenen Bestandesrückgang war wohl der Druck aus dem zuständigen Ministerium und von HESSEN-FORST auf die Forstämter Fulda und Burghaun der Auslöser.

  1. Unbefriedigende Äsungsflächen in Verbindung mit Ruhezonen

 stehen ebenfalls in direktem Zusammenhang mit den hohen Schadensereignissen und sind hierfür eine weitere Ursache. Vor etwa 10 Jahren waren die Äsungsflächen, insbesondere die im ehemaligen Forstamt Neuhof, in einem sehr gepflegten und pflanzlich artenreichen Zustand. Dieser verschlechterte sich durch die unterlassene Weiterführung dieser so wichtigen Pflege permanent. Die so vernachlässigten Flächen erfüllten dann ihren Zweck nicht mehr, und die Schäden nahmen deshalb entsprechend zu. Auch der vernachlässigte Einschlag von Kiefern und Weichhölzern im Herbst und Winter hat die Schälschäden zusätzlich negativ beeinflusst.

  1. Verschlechterung der Sozial- und Altersstrukturen.

Bei der bereits oben beschriebenen verstärkten Bejagung, insbesondere bei den groß angelegten Bewegungsjagden, mit verkauften Schützenständen an die mehr oder weniger mit Rotwild erfahrenen Schützen und mehr oder weniger geeigneten Hundemeuten, ist ein Wahlabschuss nach Geschlecht und Altersklasse – wenn überhaupt – nur sehr schwer möglich. Diese leider häufig ausgeübte Praktik hat zu einer weiteren Verschlechterung der ohnehin schon bestehenden und unbefriedigenden Sozialstrukturen geführt. In der Studie aus 2019: Sicherung der genetischen Vielfalt beim hessischen Rotwild als Beitrag zur Biodiversität von Prof. Dr. Dr. habil Gerhard Reiner und Prof. Dr. Hermann Willems wird auf den Seiten 44 und 45 auf die besonders prägnante genetische Situation der kleineren in Hessen isolierten Populationen – speziell auch auf die des Rotwildgebietes GIESELER FORST – hingewiesen.

  1. Die schalenwildfeindlichen Erlasse und Verordnungen des Landes Hessen

 sind rechtlich nicht nur höchst bedenklich, sie lassen auch keine Hoffnung auf eine Besserung der Situation aufkommen. Die grüne Unschuld Priska Hinz und ihre Forstpäpste im Ministerium in Wiesbaden und bei HESSEN-FORST in Kassel machen das pflanzenfressende Schalenwild zum Staatsfeind Nr. 1 und bekämpfen es hemmungslos, indem sie dessen Sozialstrukturen mittels rechtlich umstrittenen Verordnungen und Erlassen vernichten. Die Ministerin einer „Naturpartei“ und HESSEN-FORST müssen lernen zu akzeptieren, dass die vielen Funktionen des Waldes nicht vorrangig der Wirtschaftlichkeit geopfert werden dürfen.

  1. Schalenwildfeindliche Stellungnahmen der GRÜNEN und des ÖKOLOGISCHEN JAGDVERBANDES anlässlich der Novellierung des Bundesjagdgesetzes (BJagdG).

 Die grüne Sonnenblumenpartei hat in einem 34 Seiten umfassenden Positionspapier ihre Forderungen an das neue BJagdG niedergeschrieben. Sie fordern darin z.B., die Begriffe Waidgerechtigkeit und Hege ganz zu streichen und die Beteiligung der Naturschutzverbände bei der Abschussfestsetzung des Rotwildes. Diese Abschussfestsetzung soll künftig dem Verfahren nach in gleicher Weise wie der des Rehwildes erfolgen. Die Abschusserfüllung des Schalenwildes wird zwingend vorgeschrieben. Außerdem ist die Vogeljagd einzustellen, die Wildfütterung zu verbieten und die Liste der jagdbaren Tiere deutlich zu reduzieren. Wie aus der Stellungnahme des ÖKOLOGISHEN JAGDVERBANDES DEUTSCHLAND und des ÖKOLOGISCHEN JAGDVEREINS BAYERN zu „Waldstrategie 2050, Novelle Bundesjagdgesetz“, einem offenen Brief der Professoren M.Stubbe, Pfannenstiel und Herzog an die Bundesministerin Julia Glöckner hervorgeht, werden von den beiden Verbänden ähnliche, wenn nicht gar gleiche Forderungen laut. Mir ist in diesem Zusammenhang unverständlich, dass einem Verband, dessen Mitgliederzahlen weit unter einem Prozent aller organisierten Jäger liegen, gegenüber den Landesjagdverbänden und dem DEUTSCHEN JAGDVERBAND eine so unverhältnismäßig hohe Einflussnahme eingeräumt wird.

  1. Der erhöhte Erholungs- und Freizeitbedarf,

durch Coronaprobleme noch verstärkt, erwartet von uns Jägern, sich auf diese Situation einzustellen und eine breitere Nutzung der Natur zu akzeptieren. Es werden in der Zukunft Lösungen gefunden werden müssen, die auch den Nutzungsansprüchen einer breiten Öffentlichkeit gerecht werden. Das bedeutet allerdings auch die Akzeptanz einer Besucherlenkung, gegenseitiges Verständnis und guter Wille aller Interessengruppen.

  1. Die Stresssituation des Waldes

 ist in der Hauptsache nicht in den Wildschäden, sondern in den Schädlingskalamitäten und Klimaeinflüssen, besonders der Trockenheit begründet. Bei der Beseitigung dieser Schäden und der Wiederbegründung des Waldes sollten möglichst die Naturverjüngungen – vielleicht aber auch ein wenig die Empfehlungen von Peter Wohlleben – als eine Problemlösung Berücksichtigung finden.

Fazit: Zum Beginn des Jagdjahres 2021/22 schätze ich den Rotwildbestand im GIESELER FORST auf etwa 150 Stücke ein. Diese Einschätzung basiert auf den mir bekannt gewordenen Streckenergebnissen und dem Wildvorkommen des Jagdjahres 2020/21 bei Bewegungsjagden. Das wäre dann etwa 1 Stück auf 100 Hektar Holzbodenfläche. Nach Prof. Wagenknecht et al. ist ein Bestand unter diesem Wert nicht mehr bewirtschaftbar und so in seiner Existenz stark gefährdet. Daher, und weil sich die Schäle der Jahre 2019 und 2020 im Toleranzbereich bewegt, ist die Abschusshöhe drastisch zu reduzieren.

Setzen wir die Bejagung unseres Rehwildes in der gegenwärtig oft übel praktizierten Form bei den Bewegungsjagden fort, so wird in spätestens 3 bis 4 Jahren bei dieser Wildart das gleiche Dilemma wie bei dem Rotwild eintreten.

Wir Jäger – ob grün oder grau – haben eine hohe Verantwortung gegenüber dem uns anvertrauten Wald und seinem Wild ebenso wie der nicht jagenden Bevölkerung, der Gesellschaft. Dazu gehört auch, dass wir Jäger im Interesse der Natur, der Umwelt und der Gesellschaft bereit sein müssen, Opfer zu bringen und Verzicht zu üben. Das gilt aber auch gleichermaßen für Erholung, Sport und andere Nutzung. Der Gesetzgeber und die Waldeigentümer sind aber mindest gleichermaßen verpflichtet, umzudenken, und nicht die Umwelt und Lebensraumfunktion des Waldes allein der Wirtschaftlichkeit aufzuopfern. Der Wald als solcher leidet bitter an Klima- und Käferkalamitäten und sehr viel weniger unter den Schäden des Schalenwildes. Die politischen Parteien, besonders die GRÜNEN, wie aber auch die Naturschutzverbände, NABU und BUND, sollten mit den Jägern, die über eine hohe Kompetenz verfügenund die ältesten Naturschützer sind, und ohne die es manche Tierarten gar nicht mehr gäbe, nicht die Konfrontationsondern die Kommunikation und Kooperationsuchen. Hierbei darf nicht außer Acht gelassen werden,dass unsere Natur eine von Menschen geschaffeneKulturlandschaft und schon lange keineNaturlandschaftmehr ist, für die wir alle die Verantwortung tragen.

Dem Rotwild im GIESELER FORST eine dauerhafte Zukunft zu sichern, wäre zunächst einmal die Aufgabe der Rotwildhegegemeinschaft. Wie aber soll sie dieser Aufgabe gerecht werden können, wenn der Gesetzgeber durch Gesetze und Verordnungen sie einschränkt und daran hindert? Das leider ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Realität. Sehr, sehr schade!

Heribert Kempf